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End-of-Pipe-Prüfung 2

 

 

 

 

Als Statistikprogramme das Denken ersetzten

Der Einstieg in die Statistik ist schwer. Programme wie SPSS oder Stata machen ihn leichter: ein paar Klicks, und schon erscheint eine Flut von Zahlen, verpackt in Tabellen samt Prozentangaben mit zwei Dezimalstellen. Doch die Ergebnisse täuschen und wenn Diagramme noch so verführerisch aussehen. Ohne saubere Vorarbeit – das Bereinigen der Rohdaten – führen sie in die Irre.

Ab den 1990er Jahren schwemmten solche Zahlenberge die Abschlussarbeiten. Dozenten hatten bald genug davon. Tabellen wanderten in den Anhang oder verschwanden ganz.

 

Von Tabellenbergen zur Kernbotschaft

Worauf es wirklich ankam, war klar: Welche Muster lassen sich erkennen? Was ist der Kern der Aussage? Welche Schlüsse darf man ziehen – und welche nicht? Solange man die Bedeutung der Zahlen verstand, brauchte niemand die Befehle oder Zwischenschritte der Erzeugung zu sehen.

Bis Herbst 2022 funktionierte das.

 

Die KI-Epoche: glänzende Outputs, verborgene Prozesse

Mit der KI hat sich das geändert. Heute bestehen Dozenten auf der Darstellung jedes einzelnen Befehls, jeder Protokollzeile. Sie wollen nachvollziehen, wie Ergebnisse entstehen. Und zu Recht: Überprüfbarkeit ist Grundbedingung wissenschaftlicher Qualität.

Überprüfbarkeit durch Dokumentation ist die Basis wissenschaftlicher Gütekriterien in der quantitativen Forschung (man denke nur an die drei quantitativen Säulenheiligen Objektivität, Validität und Repräsentativität). Im Idealfall wird daher von allem Anfang an ein Forschungsprotokoll geführt. Endlich – es war von Puristen schon lange gefordert worden.

Doch wir stehen vor dem allgemeinen KI-Problem:Ddie KI gehorcht jedem Prompt wie „Führe lineare Regression durch“, „zeige Trends“, „visualisiere Beziehungen“. Die Maschine liefert – schnell, glänzend, aber nicht immer korrekt. Überdies bleibt undurchsichtig bleibt, wie sie zu ihren Zahlen kommt.

Noch problematischer ist: Weiß der oder die Anwenderin, was geschehen ist, kann sie oder er deshalb die Ergebnisse verstehen und interpretieren? Es ist ja so viel mehr zu beachten: Zusätzlich zum (formalen) statistischen Verständnis der Daten braucht man ein Wissen, wie die Daten überhaupt entstanden sind, wie der (reale) Kontext war, welche Vorannahmen hineingeflossen sind oder auch nicht.

 

Die verzweifelte Rückkehr zum Protokoll – ein ungeeigneter Mini-Schritt

Also greifen Hochschulen zu einem alten Mittel: Sie fordern die Dokumentation jedes Schritts zurück. Doch das ist ein hilfloser und rein formaler Rettungsversuch. Denn Studierende können mit Hilfe der KI Outputs produzieren, ohne je selbst verstanden zu haben, was die Daten bedeuten.

Das Einfordern von Protokollen ist Symptombekämpfung. Die eigentliche Aufgabe lautet: Radikaler Umbau der Studien. Gefordert ist eine neue (eigentlich alte!) Kultur des Lernens– weg vom Zahlenproduzieren, hin zum wirklichen Denken. Eine grundsätzliche Abkehr von der Weise, wie Hochschulen in den letzten zwei Generationen betrieben wurden, ist unvermeidbar.

 

4. Oktober 2025